29.04.2019 - Die Beerdigung

29.04.2019 - Die Beerdigung

Heute ist die Beerdigung.

Heute muss ich mein Kind beerdigen.

Ich kann es nicht glauben.

Beerdigen.

Mein Baby.

Um 10 Uhr ist die Beisetzung, um 9.15 Uhr treffen wir uns zur Zeremonie auf dem Friedhof.

Meine Schwester ist seit gestern in der Stadt. Sie hat im Hotel übernachtet.
Meine Schwiegermutter hat bei uns übernachtet.

Als wir uns anziehen, fällt meiner Schwiegermutter Blümchens Jacke auf.

Sie ist pink und im Bauchbereich großflächig dreckig gefärbt.

Sie will sie sauber machen.

Ist doch egal, sage ich.

Es ist doch so scheißegal, wie irgendwer aussieht, denke ich.

Wenigstens ein bisschen sauber reiben?

Nein. Ist doch egal.

Mein Mann sagt auch, dass es egal ist. Danke.

Ich bin genervt. Es ist doch so egal, wie die Jacke aussieht.

Es ist kein Staatsakt. Wir müssen überleben, dass wir unser Kind jetzt beerdigen müssen.

Wen kümmert diese Scheiß Jacke!

Ich werde gleich hysterisch.

Das merkt sie wohl und lässt das Jackenthema fallen.

Ich trage ein Kleid, das ich selbst genäht habe. Es sollte ein Stillkleid sein.

Jetzt trage ich es zu Lenes Beerdigung.

Ich trug es schon zur Beerdigung meiner Oma. Da war ich schon schwanger, wusste es aber noch nicht.

Es ist ein Lene Kleid.

Wir wollten nicht, dass jemand schwarz trägt, tun es aber selbst, weil der Kleiderschrank nichts anderes hergibt.

Über das Kleid ziehe ich eine Sweatjacke meines Mannes.

Es passt nicht zueinander, aber ich spüre, dass er mir an diesem Tag nicht näherkommen wird als mit der Jacke.

Meine Schwester holt mich ab.
Blümchen und Jörn fahren mit meiner Schwiegermutter.

Wir müssen noch beim Floristen halten, Blümchen wollte unbedingt einen Blumenkranz und meine Schwester hat sich darum gekümmert.

Auf der Fahrt teile ich meine Verzweiflung, Fassungslosigkeit und Wut darüber, dass Jörn nächste Woche wieder arbeiten gehen will.

Ich weiß wirklich nicht, wie ich das schaffen soll.
Und ich bin wütend, dass ich mich jetzt um die Organisation einer Haushaltshilfe kümmern muss, anstatt mich auf die Beerdigung konzentrieren zu können.

Sie bietet an, nächste Woche zu kommen und mich zu unterstützen.
Das nehme ich gerne an.
Blümchen liebt sie, das wird toll. Und so haben wir eine Übergangszeit, die Haushaltshilfe und Blümchen aneinander zu gewöhnen.

Ich freue mich, auch Unterstützung aus der eigenen Familie zu bekommen.

Wir sind da, kommen nur langsam voran.

Auf Höhe der Einsegnungshalle steht das Auto des Bestattungsinstitutes.

Oh gott.

Die Kofferraumtüren stehen auf und der Bestatter und eine Gärtnerin stehen da.
Sie schmücken den Sarg.

Oh gott.

Ich streichle den Sarg.

Überlege kurz, ob ich nochmal reinschauen soll.

Entscheide mich, es nicht zu tun.

Wir gehen weiter.

Blümchen, mein Mann und meine Schwiegermutter sind schon da.
Simone auch.

Da stehen Blumen.

Ein Loch ist ausgehoben.

Die Erde liegt daneben.
Oh gott.

Die Tafel sieht anders aus als besprochen.
Das Datum stimmt nicht.

Ich spreche den Bestatter an.
Er ist irritiert. Nicht 14.4.?

Ich bin verunsichert.

Auf der Geburtsurkunde steht 13.4., sage ich, meiner eigenen Erinnerung nicht trauend.

Er entschuldigt sich. Wir kriegen eine neue.

Ok, ist nicht schlimm.

Es fühlt sich für mich so unwichtig an wie der Dreck auf der Jacke.

Ich muss mein Kind beerdigen.

Die Hebamme kommt. Spricht sofort das Datum an.

Ist schon geklärt, sage ich.
Und ist doch auch egal!

Ich kann schon fast nicht mehr atmen.

Jeder sagt was zum Datum.

Bin ich hier eigentlich die Einzige, für die es hier echt Schlimmeres gibt?

Gestern habe ich noch eine Kerze für Lene gestaltet.

Ich stelle sie hin und mache sie an. Sie hat mit dem Wind zu tun, bleibt aber erstmal an.

Unsere Nachbarin fehlt noch.
Wir beschließen trotzdem, anzufangen.

Um 10 müssen wir fertig sein.

Blümchen will ohnehin auf Papas Arm.

Sie wird ihn die ganze Zeremonie über mit Küssen übersäen.

Ich bekomme nichts mit.

Ich muss gleich kotzen.

Ich atme durch die Nase ein und sage bei jedem Ausatmen Puuh.

Puuh.

Ich kippe gleich um.

Puuh.

Oh gott.

Puuh.

Falsches Lied. Ich mache das Richtige rein.
Puuh.

Ich kann nicht mehr stehen.

Puuh.
Ich werde gleich ohnmächtig.

Puuh.

Ich muss gleich kotzen.

Puuh.

Ich halte es nicht aus.

Puuuh.

Simone ist fertig.

Oh gott.

Oh gott.

Das war es.

Es ist noch Zeit. Wir sind zu früh fertig.

Wie wollen Lene ablassen.
Das dürfen wir nicht, sagt der Bestatter.

Was? Ich hatte es im Vorfeld so verstanden.

Ist nicht Friedhofsordnungskonform.

Oh.

Puh.

Ok, dann nicht.

Ich war darauf eingestellt.
Macht es trotzdem, sagt Simone. Es ist euer Kind!

Man merkt dem Bestatter an, dass er nicht weiß, was er machen soll.

Er will es uns ermöglichen, weiß aber, dass es nicht geht.

Er geht einen Friedhofmitarbeiter suchen, schlägt er vor.
Er kommt zurück und gibt uns das ok.

Ich will nicht, dass jemand Ärger bekommt.

Aber der Friedhofmitarbeiter sitzt in Sichtweite.

Dann wird es wirklich ok sein.
Sonst würde er ja was sagen.

Mein Mann und ich stehen links und rechts am Grab und lassen den Sarg ab.

AH! Einer ist zu schnell!

Langsamer!
Nicht, dass der Sarg kippt!

Danach kann noch jeder Blumen reingeben und Erde und Weihwasser.

Wo kommt das überhaupt her? Wir sind nicht religiös.

Blümchen fängt an.

Wirft die erste Rose zu ihrer Schwester.

Gleich die Nächste.

Mist. Die sind abgezählt.
Meine Schwiegermutter steht direkt daneben. Warum sagt sie nichts?
Stopp, greife ich ein.

Es ist für jeden eine. Sie könnte die Rosen nehmen und jedem eine geben?
Das findet sie gut.

Puh. Ich hatte einen Zusammenbruch befürchtet.

Eine fehlt jetzt aber. Simone bekommt keine ab. Das tut mir leid. Sie ist mir wichtig.

Na ja.

Ob wir das Grab auch zumachen wollen?

Ich nicht. Ich kann mit der Narbe ja nicht mal mehr stehen.

Mein Mann will.

Ich setze mich auf eine Bank. Lisa setzt sich neben mich.

Die anderen stehen hinter und um uns.

Wir schauen Jörn zu, wie er Schaufel um Schaufel Erde auf Lene wirft.

Zugedeckt vom Papa, sagt Lisa später.

Ja, so ist es wirklich.

So bitter und schön gleichzeitig.

Und jetzt?
Wie löst sich das jetzt hier auf, frage ich Simone.

Das passiert von selbst, meint sie.
Aber es passiert nicht.

Alle stehen rum.

Es zieht zu und wird kalt.
Simone nimmt das zum Anlass und sagt sowas wie, dass das jetzt ein gutes Zeichen wäre, aufzubrechen.

Ich hatte Lisa und unsere Nachbarin zum Frühstücken eingeladen.

Eigentlich ist es mir jetzt zu viel.

Lisa spricht es an und ich bin froh, so unkompliziert aus der Sache rauszukommen.
Dass sie so verständnisvoll ist, erleichtert es mir, auch Laura wieder auszuladen.

Lisa und der Bestatter verabschieden sich.

Sie umarmen sich.

Das würde sich für mich auch stimmig anfühlen.
Aber ich lasse es.

Wenn mein Mann schon so viel Abstand zu mir hält, will ich mich nicht einem quasi Fremden zumuten.
Ich gebe ihm die Hand.

Das fühlt sich holprig an.

Na gut.

Wir fahren nach Hause.

Halten beim Bäcker an.

Frühstücken.

Ich bin erschöpft.

Und erleichtert. Ich habe es überlebt.
Ich habe das Schlimmste überlebt.
Ich habe meine Tochter beerdigt.

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