Die Ärzte sagten mir ich müsste eine Entscheidung treffen. Weitermachen oder die Schwangerschaft abbrechen. Die bewusste Entscheidung dafür treffen eine Tablette zu schlucken, die den Herzschlag meines Kindes stoppen und die Wehen einleiten würden. Tabletten, die das Leben meines Kindes beenden noch bevor es überhaupt richtig angefangen hat. Ich weiß nicht wie irgendeine Mutter so eine Entscheidung treffen kann ohne innerlich zu zerbrechen.
Die Schwangerschaft war nicht geplant und der Zeitpunkt eine absolute Katastrophe. Als ich den Test gemacht habe und er positiv war hab ich eine gefühlte Ewigkeit nur auf meinem Bett gesessen und ihn angestarrt. Scheiße. Das waren meine Gedanken. Verdammte scheiße. Ich bin zweiundzwanzig Jahre alt und habe mein Leben überhaupt nicht geregelt. Ein eigenes Kind kam noch nicht in Frage, zumindest noch nicht jetzt. Vielleicht eines Tages wenn ich eine stabile und glückliche Beziehung führe, eine eigene Wohnung hab und einen unbefristeten Job. Nichts von all dem war zum jetzigen Zeitpunkt gegeben und die Schwangerschaft hat mich komplett aus der Bahn geworfen.
Ich hab die Besuche bei meinem Frauenarzt zur Kontrolle größtenteils alleine gemacht. Sven, der Vater von meinem Baby, musste arbeiten und ich denke erstmal selbst damit klar kommen welche Veränderungen jetzt auf uns zukommen würden und meine Eltern waren auch keine Unterstützung. Der Gedanke in ihrem Alter noch mal ein Baby im Haus zu haben hat ihnen mit Sicherheit Angst gemacht also musste ich da alleine durch.
Die ersten Untersuchungen waren ganz normal. Ultraschall, Blutabnahme, nächsten Termin ausmachen und alles sah soweit gut aus. Ich war in der sechsten Woche als ich es gemerkt habe. Relativ kurz danach habe ich Blutungen bekommen und bin ins Krankenhaus weil ich dachte dass es eine Fehlgeburt sein könnte. Dort wurde dann der Herzschlag des Kindes festgestellt und mir wurde gesagt alles wäre in bester Ordnung.
Irgendwann in dieser Zeit habe ich gemerkt wie meine Angst immer kleiner wurde und ich mich so langsam auf dieses Baby gefreut habe. Bei jeder Untersuchung habe ich mir vorher große Sorgen gemacht irgendetwas könnte nicht stimmen aber es war immer alles in bester Ordnung und ich habe diesen kleinen Knopf auf dem Ultraschall mehr und mehr ins Herz geschlossen.
In der zwölften Woche hatte ich meine letzte kritische Untersuchung beim Frauenarzt. Die ersten drei Monate waren ohne Zwischenfälle vergangen und ich hab mir, anders als bei den ersten paar Untersuchungen, überhaupt keine Sorgen mehr gemacht das jetzt noch was schief gehen könnte. Schon während dem Ultraschall wusste ich dann aber dass etwas nicht stimmt. Mein Arzt schaute sich alles sehr lange und still an. Schließlich guckte er zu mir. Da stimmt etwas nicht. Sein Gesicht war ernst und mir wurde sofort klar dass es nicht gut aussieht. Er erzählte etwas von einer zu dicken Nackenfalte und verwies mich an einen Kollegen zum Ersttrimesterscreening.
Direkt am nächsten Tag fuhr ich dann zu dem Arzt und machte die Untersuchung. Das Ergebnis war ein Schlag ins Gesicht. Die Nackenfalte betrug 7 mm und das Wasser hatte sich bereits um den ganzen Kopf meines Babys gebildet, auf der einen Seite sogar auch um Rücken und Arme. Ich durfte während der Untersuchung auf dem Ultraschall zuschauen wie der Arzt mein Baby genauestens unter die Lupe nahm. Er erklärte mir jeden Schritt und zeigte mir auch genau wo etwas nicht in Ordnung war. Es war schrecklich und schön mein Baby zum ersten Mal richtig sehen zu können, die kleinen Arme und Beine, den Kopf und die winzigen Bewegungen.
Danach setzten wir uns zusammen hin und sprachen über die weiteren Optionen. Ich werde dieses Gespräch nie vergessen. Er sagte mein Baby habe eine zweiprozentige Chance darauf gesund auf die Welt zu kommen. Ich solle mich aber darauf einstellen das es wahrscheinlich Trisomie 13 oder 18 ist und das Baby gar keine Überlebenschancen hat. Um genau abzuklären was los ist sollte ich nach Frankfurt in eine Spezialklinik und dort eine CVS machen lassen.
Die CVS war schrecklich, sogar noch schlimmer als mir vorher erzählt wurde. Mein neuer Arzt dafür war fantastisch. Er nahm sich viel Zeit, hatte Ahnung wovon er sprach und konnte mir alles erklären, sodass ich es als Laie auch wirklich verstehe. Eine Woche dauerte es bis die Ergebnisse da waren. Das Warten darauf kann man gar nicht in Worte fassen.
Dann war das Ergebnis da. Es würde ein Mädchen werden. Sie hatte das Turner Syndrom und zwar eine sehr ausgeprägte Form davon. Ich hab mir glaube ich alles durchgelesen was ich zu dem Thema Turner Syndrom in die Finger bekommen habe und war fest entschlossen alles zu versuchen was möglich war um mein Baby zu behalten. Zu diesem Thema gibt es sehr unterschiedliche Meinungen und meine Eltern und auch Sven konnten meine Sicht auf die Dinge überhaupt nicht teilen. Für sie war absolut klar die Schwangerschaft sofort zu beenden und die nächsten Wochen waren einfach nur der Horror.
Jede Woche bin ich nach Frankfurt gefahren um zu überwachen wie sich der Zustand meiner Tochter weiter entwickelt und jede Woche sah es noch schlechter aus. Die Nackenfalte lag am Schluss bei über drei Zentimetern und es gab bereits Wasseransammlungen in den Organen und auch im Kopf. Heißt, es würde nicht nur eine körperliche Behinderung bevorstehen sondern auch eine geistige. Bis zu diesem Moment war ich mir hundert Prozent sicher weiter zu machen. Es zu versuchen, auch wenn die Chancen gleich null waren. Aber was wäre das für ein Leben geworden? Eine körperliche Einschränkung ist eine Sache, damit kann man sich arrangieren. Aber körperlich und geistig behindert zu sein stelle ich mir einfach nur grausam vor. Mein Arzt sprach mit mir sehr lange über die Option die Schwangerschaft doch zu beenden. Eine Ausschabung käme aber nicht mehr in Frage, dafür wäre ich schon zu weit und das Risiko zu groß. Ich müsste sie normal auf die Welt bringen. Ich solle darüber nachdenken und ihn anrufen wenn ich mich entschieden habe.
Während dieser Zeit habe ich eigentlich nur noch geweint. Eine Woche später hab ich meinen Arzt dann angerufen und ihn um noch einen weiteren Termin gebeten um zu schauen ob sich in dieser einen Woche der Zustand noch weiter verschlechtert hat. Zu diesem Termin ist Sven das erste Mal mitgekommen und durfte seine Tochter auf dem Ultraschall sehen. Die Kleine hatte gute Laune und hat sich viel bewegt. Der Arzt war überrascht wie munter sie zu sein schien, obwohl sich ihr Zustand fast schon dramatisch weiter verschlechtert hat. Besonders erstaunt war er über ihren Herzschlag, der sich seit unserer letzten Untersuchung tatsächlich verbessert hatte und richtig kräftig geworden war.
„Sie kämpft. Sie kämpft wie eine Wahnsinnige und sie ist verdammt stark. Vielleicht schafft sie es noch ein paar Wochen, vielleicht sogar bis zur Geburt. Aber sie wird nicht überleben. Sie wird nicht lebensfähig sein.“
Ich bin direkt im Krankenhaus geblieben um die Geburt so schnell wie möglich hinter mich zu bringen. Ich bekam ein Einzelzimmer und Sven ist nach Hause zu seinem Sohn gefahren. Als ich die erste Tablette bekommen habe war ich allein und hab sie bestimmt eine halbe Stunde zwischen meinen Fingern gehalten und angestarrt. Diese Tablette würde meine Tochter töten. Ich weiß nicht wie ich es über mich gebracht habe sie zu schlucken. Ich hab nur noch funktioniert wie ein Roboter.
Irgendwann, im Laufe dieses Tages, hat ganz unbemerkt von mir das kleine Herz meiner Tochter aufgehört zu schlagen.
Dann hieß es vierundzwanzig Stunden warten. Am nächsten Tag um dieselbe Uhrzeit sollte ich dann die zweite Tablette schlucken, die die Wehen auslösen würde. Die Ärzte im Krankenhaus waren alle sehr nett und bemüht mir alle meine Fragen zu beantworten und mir beizustehen. Ich bekam eine Psychologin zur Seite gestellt die mich auch zum ersten Mal auf die Sternenfotografen aufmerksam machte. Ich stimmte zu. Ich wollte alles an Erinnerungen für die Zeit danach haben was ich kriegen konnte.
Um vier Uhr, eine Stunde später als geplant musste ich dann die zweite Tablette nehmen. Sven wollte zur Geburt im Krankenhaus sein. Die Ärztin sagte mir es würde frühestens gegen zehn Uhr abends losgehen und er sollte sich keine Sorgen machen.
Um halb sechs ist dann die Fruchtblase geplatzt und die Ärzte sagten mir jetzt könnte es jeden Moment soweit sein. Da wurde mir bewusst was hier wirklich passiert und ich konnte nicht mehr aufhören zu weinen. Sven war noch nicht da, ich lag allein in diesem Bett und hatte mich doch noch gar nicht darauf eingestellt.
Als Sven dann endlich kam wollte aber nichts mehr passieren. Ich lag noch Stunden in den Wehen ohne dass irgendetwas vorwärts gegangen ist. Um halb elf konnte ich nicht mehr anders und musste auf die Toilette. Die Ärzte schauten vorher nach wo die Kleine lag und sagten, sie wäre noch so weit oben im Geburtskanal, ich solle mir keine Sorgen machen, es würde bestimmt noch ein paar Stunden dauern
Das dumpfe Geräusch von meinem Baby wie es mir keine zehn Sekunden später in die Toilette gefallen ist werde ich niemals vergessen.
Danach ging alles ganz schnell. Sie haben meine Tochter weg gebracht und mich sofort in den OP um eine Ausschabung zu machen da bei der Geburt nicht alles vom Mutterkuchen mit rausgekommen ist. Sven durfte die Nacht bei mir im Zimmer schlafen und am nächsten Morgen kam dann meine Psychologin und fragte uns ob wir bereit wären unser kleines Mädchen zu sehen und ob sie die Sternenfotografen für uns anrufen soll.
Bis heute weiß ich nicht ob ich es geschafft hätte mir meine Kleine anzuschauen wenn Sven mich nicht mit in das Zimmer gezogen hätte. Ich bin ewig in der Tür stehen geblieben während Sven sofort zu dem kleinen Körbchen gegangen ist um unsere Tochter zu begrüßen. „Sie hat deine Nase.“, waren seine ersten Worte. Etwas Schöneres hätte er in diesem Moment auch nicht sagen können.
Meine Tochter kam in der 17 SSW mit einem Gewicht von nur 19 Gramm auf die Welt. Sie war so groß wie meine Hand und passte auch perfekt hinein. Ich habe mir vor der Geburt einen kleinen Schlafsack aussuchen dürfen in den die Ärzte sie hineingelegt hatten und sie trug ein kleines Mützchen damit man den großen Wasserkopf nicht so stark sehen konnte. Ihre kleine Hand war nur so groß wie mein Fingernagel.
Die Sternenkinder fotografin kam nachdem wir ein paar Minuten allein mit unserer Tochter hatten und war vom ersten Augenblick an unglaublich liebevoll. Die sternenkinder fotos und Erinnerungen die sie mir gegeben hat helfen mir jeden Tag aufs Neue mit dem Verlust meines kleinen Mädchens klar zu kommen. Sie sind wunderschön und so emotional. Sven erzählte mir später sie hätte über eine Stunde sternenkinder fotos von der Kleinen gemacht. Für mich hat es sich angefühlt wie fünf Minuten.
Ich bin der wundervollen sternenkinder fotogarfin und der gesamten Organisation dein sternenkind so unendlich dankbar dass sie mir eine kleine aber unglaublich wertvolle Erinnerung an mein Mädchen geschenkt haben. Ihr macht einen großartigen Job und seid der Grund dafür wieso ich niemals vergessen werde wie mein Engel ausgesehen hat. Ich danke meiner sternenkinder fotografin auch für den Brief den sie mir mitsamt dem Paket mit den Bildern und lauter kleinen, persönlichen Erinnerungen nach wenigen Wochen geschickt hat. Es hat mich unglaublich berührt wie viel Mühe sich mit jedem Detail gegeben wurde.
Wir sind so dankbar, dass man uns auf die sternenkinderfotografie aufmerksam gemacht hat!
>> Maya Emilia, geb. am 07.02.2019 um 22:35 Uhr <<
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