Es ist ziemlich schwierig unsere Geschichte zu erzählen, weil wir zwar Sternenkindeltern sind, aber „selbst gewählt“, wie ich es immer sage.
So beginnt eine Mutter ihre Mail mit ihrer Geschichte, die sie uns schickte, damit wir sie posten. Und ich wünsche mir, dass hier niemand urteilt. Behaltet böse Worte am besten einfach für euch, denn niemand hat das Recht zu urteilen, wenn er nicht selbst in genau derselben Situation war.
Lasst uns auch für diese Eltern ein offenes Ohr und Herz haben.
Im April 2017 kam unsere erste Tochter, zwar sechs Wochen zu früh, aber gesund, zur Welt. Dann hatte ich im Sommer 2019 eine Fehlgeburt in der 6. SSW (auch ein Wunschkind). Gleich darauf wurde ich sofort wieder schwanger. Die Schwangerschaft startete aber schon mit anderen Ängsten als die zweite, weil man immer wieder die Fehlgeburt fürchtete. Von Woche zu Woche entspannten wir uns immer mehr und sagten sarkastisch, wenn dieser Zwerg am Anfang Stress macht und dafür am Ende nicht, ist doch alles super. Dann kam die Frage des Ersttrimesterscreenings. Bei unserer Großen haben wir es nicht gemacht, weil wir uns sagten, es ändere nix und wir bekämen auch ein Kind mit Downsyndrom. Dieses Mal sagte meine Mann, er würde es gerne machen, damit man sich wegen der Großen besser drauf einstellen kann. Also gingen wir zu dem Termin. Natürlich entspannt und mit dem Gedanken, danach hat man es gehört, dass alle gut ist und dann ist es auch gut... leider war es nicht so. Der Arzt sah eine leicht verdickte Nackenfalte. Nicht massiv, aber so, dass nun das Risiko des Downsyndroms oder. anderer Trisomien bei 1:4 war... natürlich versuchten uns alle zu beruhigen und erzählten von den Geschichten, wo danach sich doch die 75% bewahrheiteten... wir sagen aber nur noch die 25%... ich ging direkt zwei Tage später zu einer Spezialpraxis in Bremen, in der Hoffnung sie entspannten uns... die schallte erneut. Jedes Organ das sie sehen konnte... lange, sehr lange. Wir waren fast 2,5 Stunden dort. Sie entdeckte eine kleine Herzklappeninsuffizienz, was ebenfalls ein Softmarker für Trisomien ist. Weil unser Kind aber normal groß und agil war, war ich mir sicher, es könne nur eine Trisomie 21 sein. Wir sollten zwischendurch spazieren gehen, weil sie noch mal schallen wollte. Dabei weinte ich durchgehend, weil sie nun von einem Risiko 1:3 sprach. Immer noch war ich mir 100% sicher, wir würden unsere Tochter trotzdem bekommen. Mein Mann fragte das erste Mal, ob ich schon mal über den anderen Weg nachgedacht hätte. Ich war entsetzt und traurig... aber als wir erneut zum Ultraschall kamen, sagte er sofort, es sei seine Tochter und er hatte den Gedanken sofort verworfen.
Uns wurde dann zu dem Bluttest geraten, den wir machten. Wieder warten eine Woche. Dann die Gewissheit... unsere Marlene (wie wir sie schon nannten) hatte das Downsyndrom. Mein Mann war in der Woche beruflich weg... ich musste für meine andere Tochter funktionieren. Egal wie. Zu dem Zeitpunkt war ich in der 16.SSW. Am gleichen Tag fuhren wir zu einem Indoorspielplatz und ich sah sie, wie sie so unbeschwert und glücklich war... und ich sah mein behindertes Baby, was nie so ein Leben führen würde... ohne Hilfe. Ich redete mit ein, dass es bestimmt nur eine leichte Ausprägung habe. Aber die Ärztin sagte, das könne man nie wissen. Auch weiter Organfehlbildungen etc. Könne man jetzt nicht voraussagen. Der Herzfehler sei nichts schlimmes, könne sie verwachsen oder müsse auch nicht operiert werden. Ob andere Herzfehler bestehen konnte man zu dem Zeitpunkt nicht sagen. Nach dem Tag war ich auf einmal anders... ich dachte anders. Ich sah meine gesunde glückliche Tochter und dachte nur, dass sie nicht wählen kann und ich ihr Leben damit so verändere... ich fiel den Entschluss unser Marlenchen nicht lebend zu bekommen. Als ich es meinem Mann mitteilte war er erleichtert. Auch er fand diesen Weg besser für uns und vor allem für Mathilda. Wir kamen also in die Termin und Diagnostikspirale mit Fruchtwasseruntersuchung, Beratungsgesprächen und Terminen für den Abbruch... ich hatte am gleichen Tag abgeschlossen. Ich rieb meinen Bauch nicht mehr ein, nahm das Femibion nicht mehr... ich gewann Abstand zu meinem Baby. Ich hatte nur Panik, dass ich sie irgendwann spüren würde. Das wollte ich nicht. Das war die schwerste Zeit. Offiziell war ich noch schwanger, gedanklich distanzierte ich mich vollkommen davon. Mein Mann und ich waren uns auch einig, dass wir sie nicht sehen möchten... in der 18.SSW war es dann „endlich“ soweit. Ich bekam die Abtreibungstablette und Aufsicht und durfte wieder nach Hause. Ein Akt von 3Min inkl Wartezeit... ich ging dann zum Weihnachtsshopping mit meiner Mutter.. es war so surreal. Ich hatte gerade die Tablette genommen, die meine Tochter töten würde und lebte weiter als sei nix gewesen... nach zwei Tagen gingen wir in die Klinik und die Geburt wurde eingeleitet. Schon in den zwei Tagen kam mir der Gedanke, dass ich doch meine Tochter nicht gehen lassen kann ohne ihr einen Kuss von Mama mitzugeben... das zerriss mich innerlich. Auch mein Mann sagte von alleine unter der Geburt irgendwann er wolle sie doch sehen. Am 19.12. um 16:04 kam sie dann zur Welt... die Wehen waren schmerzhaft, die Geburt vollkommen schmerzfrei und fast schön. Ich war erleichtert und freute mich, dass es geschafft war. Unsere Tochter war da. Wir fassten sie an, hielten sie... sie war warm und winzig. 20cm, aber alles dran. Augen, Nase, Mund, Fingernägel,... Minifüße. So zerbrechlich. Ich schaute sie lange und ganz genau an, bevor ich zur Kürettage in den OP musste. Ich bildete mir ein, man sehe das Syndrom, wenn man es wisse. Ob es so war kann ich nicht sicher sagen. Ich glaubte es zu sehen.
Nach der OP kam eine Sternenfotografin. Sie machte tolle Bilder... wir selber auch mit dem Handy. Wir hielten sie in einem Körbchen... fasste ihre Hand an, küssten sie. Jetzt war sie sehr kalt. Sie wurde gekühlt während meiner OP. Das Gefühl war sehr schwer für mich zu ertragen. Warm war es schöner... nach ca 2Std. sagte uns die Schwester, wir sollen sagen, wenn sie sie abholen soll. Das fand ich schon furchtbar.. ich sagte, dass wir sie bringen würden... irgendwann waren wir soweit. Mein Mann brachte sie ins Schwesternzimmer und brach fast zusammen. Er hat so geschluchzt und geweint, wie noch nie. Auch das zerriss mich sehr... ich tröstete ihn und war stark. Ich wollte unbedingt nach Hause zu unserer großen Tochter, deshalb fuhren wir dann auch. Der nächste Tag ging. Ich war froh, dass es vorbei war... die Tränen und Zweifel kamen am zweiten Tag danach. Ich weinte gefühlt den ganzen Tag... ich fing an zu zweifeln... mir Vorwürfe zu machen... das wurde nach einiger Zeit besser. Aber jetzt denke ich viel daran. Wenn ich behinderte Menschen/Kinder sehe... frage ich mich jedes Mal, was wir getan haben. Wenn ich unsere Große sehe, bin ich mir sicher es war der richtige Weg.
Ich erzähle hier meine Geschichte, weil es keine Gruppen für Eltern wie uns gibt. Ja, wir haben einen Sternenkind, aber wir haben es dazu gemacht... mit dieser Entscbeidung leben zu müssen ist unglaublich schwer. Zweifel, Trauer und Wut sind dabei... dann wieder Scham, dass ich nicht trauern darf, weil ich es ja selber entschieden habe. Man fühlt sich so alleine. Trotzdem vermissen wir unsere Tochter und weinen um sie und beerdigen sie in zwei Wochen... aber mit wem soll man reden. Sterneneltern im eigentlichen Sinne haben ihr Kind so verloren und wären vielleicht dankbar für ein nicht gesundes, aber lebendes Kind...
Was ich gelernt habe ist, dass man in der Theorie vieles planen kann... hat man die Diagnose schwarz auf weiß ist alles anders.... man kann planen das Kind nicht zu sehen, unter der Geburt ist alles anders...man kann sagen, dass man sich mit der Entscheidung sicher ist und niemals zweifeln wird, ob es das richtige war,... hinterher ist alles anders.
Als Abschluss schreibt sie:
Ich hoffe es ist okay, dass ich sie mit unserem etwas anderen Schicksal anschreibe, aber ich weiß nicht, wo ich es sonst machen könnte. Eltern wie wir reden nicht darüber, deshalb gibt es, glaube ich, auch keine Gruppen für Wege wie unseren.
Und ja, natürlich ist es okay und ich weiß, dass es viele Familien gibt, die diesen, den anderen Weg gehen. Und wir alle sollten auch diesen Weg akzeptieren.
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