Matilda - unser Engel

Matilda - unser Engel

Manchmal ist das Leben perfekt. Vielleicht zu perfekt. Nach langen Jahren Fernbeziehung, hatten wir uns endlich unser Nest geschaffen und waren vereint. Zwei Monate später, beide mit knapp 39, haben wir dann geheiratet. Für uns beide die zweite Ehe und unser ganzes Glück. Jetzt wollten wir auch unseren Traum vom Wunschkind endlich verwirklichen. Weitere zwei Monate später waren wir schwanger und überglücklich. Unser Wunder sollte im selben Monat geboren werden, in dem wir beide Geburtstag haben. Sehr zu unserer Freude wenige Tage vor unseren 40. Geburtstagen. Errechneter Termin der Geburtstag vom bereits verstorbenen Opa. Alles war perfekt. Das sollte einfach so sein.

Bald schon war klar: wir bekommen ein Mädchen. Die Schwangerschaft verlief recht ruhig. Der ein oder andere Hormonwert war etwas niedrig. Im weiteren Verlauf der Blutfluss zur Gebärmutter nicht ganz in der Norm. Wir wurden also eng überwacht und bei der nächsten Kontrolle bestätigte auch der Arzt das Gefühl: Alles ist gut. Es gesellte sich eine leichte Schwangerschaftsdiabetes dazu. Auch diese war jedoch ohne großen Aufwand gut unter Kontrolle. Mittlerweile begann auch schon der 9. Monat. Unser wunderhübsches Mädchen sollte etwas klein sein. Der Kopf etwas weiter als der Körper. Oh sie hat beim ganzen CTG geschlafen? Ist das schlimm? Nein, wir müssen nur beim nächsten Mal sehen, dass sie wach ist.

Wir fragten die Ärzte: Müssen wir uns Sorgen? Nein! Dazu besteht kein Grund. Eine leise Sorge blieb. Auch die Hebamme machte keinen besorgten Eindruck. Das Leben war schön. Eben war unser erster Urlaubstag angebrochen und gleichzeitig der Beginn vom Mutterschutz. Es war ein sonniger Tag. Wir freuten uns auf den Vorsorgetermin der anstand. Endlich unser liebes kleines Mädchen wiedersehen, das immer so lieb zu Mama ist und nicht viel tritt; Sie kommt nach mir, sie ist eher ruhig, freuten wir uns. Wie falsch das war. Beim Arzt angekommen durften wir direkt ans CTG. So saßen wir da. Lauschten dem pochenden Herzchen unserer Tochter.. doch recht schnell merkte ich, da stimmt etwas nicht... der Gurt ist verrutscht. Schnell den Papa geschickt um Hilfe zu holen. Gurt wieder angelegt. Wir bekommen die Maßgabe wenn sie wieder schläft auf und ab zu gehen...das Kind aufwecken... die Töne sind wieder da. Wir sind wieder alleine im Zimmer. Hypnotisches starren auf den Bildschirm. Was ist das? 140...120...100....80...60....runter bis 0...Da stimmt wieder was nicht... wieder den Papa geschickt. Der will zunächst nicht nochmal die Helferin nerven. GEH. HOL HILFE... da stimmt etwas nicht... JETZT. Die Helferin kommt. Diesmal findet sie einfach keine Töne mehr. Sie wird immer nervöser und mit Ihr auch wir. Die Ärztin streckt den Kopf zur Türe herein, will wissen wann der Raum frei wird. Die Helferin bittet die Ärztin zu helfen. Die Ärztin wirft einen Blick auf die bisher erstellte CTG Kurve und sagt nur...sofort ins Sprechzimmer zum Ultraschall. Dort bestätigt sich was wir alle schon ahnen. Es tut mir sehr leid, ich kann leider keine Herzaktivität mehr feststellen. Haben sie Schmerzen? Nein! Haben sie Fruchtwasser verloren? Nein! War irgendetwas ungewöhnlich? NEIN!!!. Wir haben unsere Tochter am Vorabend noch munter tretend bestaunt. Die Ärztin ruft den Krankenwagen. Zum telefonieren verläßt sie den Raum. Nein, ich möchte nicht liegen mir geht es gut. Der Krankenwagen fährt ohne Eile und Blaulicht. In der Klinik angekommen, wieder Ultraschall. Noch ist da Hoffnung, dass alles nur ein schrecklicher Irrtum ist. Eben waren da doch noch Herztöne. Vielleicht können die Spezialisten in der Klinik sie ganz schnell retten. Auf dem Bildschirm ein perfektes kleines Herz. Totenstill. Die Ärztin schaut uns nur an. Ja, ich sehe es selbst. Da ist nichts mehr. Die Ärztin nickt nur. Erklärt uns, so wie das Herz aussieht ist unsere Tochter wirklich gerade eben im Moment verstorben. Wir waren dabei, am CTG. Unsere Tochter stirbt in der 34. SSW. Der Alptraum aller Eltern. Plötzlich stecken wir mitten darin. Die Ärztin erklärt uns, dass die Geburt eingeleitet werden muss. Wir können wählen wann. Wir können auch direkt bleiben. Wir sollen überlegen, ob wir unser Baby dann sehen wollen, denn dann dürfen wir nicht zu lange warten. Sie wird sich verändern, auch im Bauch.

Wir entschließen uns, erstmal wieder nach Hause zu gehen. So schnell ist das Geschehene nicht zu begreifen. Vor einer Stunde dachten wir noch, alles ist gut, das Leben ist schön, Sommer Sonne Sonnenschein Urlaub.

Wir vereinbaren am nächsten Tag wieder zu kommen. Uns ist sofort klar, wir wollen natürlich unser Mädchen sehen. Möglichst unverändert. Zuhause angekommen. Ratlosigkeit. Was tut man wenn man grade gehört hat, dass das geliebte Kind im Bauch tot ist? Es gibt nichts was man tun kann. Wir informieren Familie und Freunde.

Am nächsten Morgen ist jegliche Hoffnung weg, dass alles nur ein Irrtum ist. Der Bauch fühlt sich obwohl noch unverändert dick, einfach leer an. Keine Bewegung mehr. Kein Leben darin.

Nach 2 langen und unerträglichen Stunden Wartezeit in der Klinik wird ein Zugang gelegt. Warum mussten wir so lange warten? Es ist viel los. Ja...bei uns kann es nicht noch schlimmer werden. Uns kann man warten lassen. Ich war kurz davor wieder zu gehen. Dann wird die Einleitung begonnen. Wir können erstmal wieder

aufs Zimmer. Wir haben ein Einzelzimmer...und Angst....Angst vor der Geburt. Dann ist es endgültig und wir müssen unsere Prinzessin für immer hergeben. Kann man dazu jemals bereit sein? Unser Mädchen ist noch ein letztes mal perfekt. Macht der Mama die Geburt nicht schwer. Die perfekte Geburt. Wäre sie nicht still. Trotzdem ist so viel Liebe und auch Stolz in der Luft.Trotzdem. Es ist ein schönes Erlebnis. Wir sind (trotzdem) aufgeregt. Gleich ist sie da. Gleich dürfen wir sie sehen und halten. Dann ist sie da. Sie war schon so fertig.. alles am rechten Fleck. Wir werden gefragt, ob sie schon einen Namen hat. Wir können nur nicken. Den Namen auszusprechen tut zu weh.

Nach einem Moment erlauben wir der Hebamme unsere Tochter für einen Moment mitzunehmen. Die Hebamme hat ihr eine Rose in den Arm gelegt als sie uns unseren Engel, unsere Matilda, wieder bringt. Später bekommen wir Hand und Fußabdrücke unseres Engels..Wir machen Fotos. Wir ziehen sie an. Wir versuchen, was unmöglich ist. Abschied zu nehmen. Alle Eindrücke zu speichern. So viel was man bewahren möchte. So viele Eindrücke. Sie hat dunkle Haare. Wir behalten eine Strähne, lassen ihr im Gegenzug eine Strähne von uns.

Die Hebamme sagt, die Plazenta sieht nicht normal aus. Es ist ihr ein Rätsel wie das Kind mit der Plazenta so groß werden konnte. Unsere perfekte Matilda hat 1550 Gramm und ist 43 cm groß. Sie hatte die Nabelschnur 3 mal eng um den Hals, einmal um die Hand. Wir sollen noch im Kreissaal entscheiden, ob eine Obduktion erfolgen soll. NEIN! Niemand soll unserem Engel mehr wehtun. Sie ist perfekt so wie sie ist. Später ergibt die Untersuchung der Plazenta eine Insuffizienz die wohl in Verbindung mit der Nabelschnur um den Hals einfach "zu viel" war.

Unendlich dankbar sind wir den Familienmitgliedern und Freunden die den Mut fanden, uns trotzdem im Krankenhaus zu besuchen. Diesen Menschen war unsere Tochter trotzdem wichtig genug, obwohl sie nicht leben darf. Das ist so unsagbar wertvoll, auch für uns. Sie war wirklich da. Es gab sie wirklich. Als wir am nächsten Tag das Krankenhaus und somit unser Kind verlassen, wird uns bestätigt, auch das beteiligte Personal hat die Atmosphäre so empfunden wie wir. Es war trotzdem ein unglaublicher Moment als Matilda auf die Welt kam. Zumindest das durften wir mit Ihr erleben in Frieden und Freude, wenn auch wehmütiger Freude. Man kann es nicht in Worte fassen. Die Liebe und der Stolz sind unendlich. Die Hebamme verabschiedet uns mit dem Satz: Das nächste mal geht ihr hier mit Kind raus. Wir hoffen sehr sie behält recht.

Matilda lebt mit uns. In vielen kleinen Dingen. Wir haben einen Leuchtstern über unserem Bett. Jeder trägt ein Bild von ihr bei sich. Wir bringen Ihr kleine Geschenke mit, wenn wir verreist sind. Wir zünden Kerzen für sie an. Wir pflanzen ihr immer schöne Blumen zu jeder Jahreszeit. Wir freuen uns wehmütig, wenn wir uns überlegen wie alt sie jetzt wäre, was sie jetzt grade lernen würde. Wir werden sie nie vergessen.


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