November 2017
Es ist ein schöner Tag. Die Sonne strahlt, ich nutze das Wetter an diesem Samstag für einen Spaziergang, habe noch zwei Geschäftstermine mit Fotografen und einer Visagistin für eine angehende Kooperation. Alles fühlt sich gut an. Nach dem ersten Termin schaue ich auf mein Handy, verfolge die internen Chats mit meinen Admin-Kollegen von „Dein Sternenkind“. Ich lese von einem Einsatz in der Aachener Region. Dort wurde morgens überraschend ein Sternchen geboren. Mittlerweile ist es beinahe 14 Uhr und es findet sich noch kein Fotograf, der den „Einsatz“ übernehmen kann.
Es erfolgt der zweite Alarm an die Fotografen in der Nähe. Ich nehme meinen Routenplaner und sehe, dass ich knapp 140km Fahrt vor mir habe, wenn ich übernehme. Ich entscheide mich dafür. Gebe Rückmeldung, dass ich fahren werde, da alle Fotografen in eigenen Shootings stecken und es einfach zu spät werden würde. Gerade bei Sternenkindern finde ich es ganz wichtig: je früher das Shooting stattfindet, desto besser sind auch die Bilder. Diese kleinen Würmchen verändern sich von Stunde zu Stunde, da zählt fast „jede Minute“.
Es ist kurz nach 18 Uhr, als ich im Kreißsaal eintreffe. Die freundliche Hebamme erklärt mir kurz, dass die Eltern mich schon erwarten und sich schöne Erinnerungsfotos wünschen. Sie sind relativ gefasst.
Als ich in das Zimmer komme, telefoniert die Mutter mit Verwandten, der Vater begrüßt mich mit einem gequältem Lächeln, bedacht, seinen Schmerz nicht vor einem Fremden zu offenbaren. In einem Korb liegt der kleine Junge. Friedlich. Augen verschlossen. In ein Handtuch gewickelt, nur das süße, kleine Gesicht ist zu sehen. Was für ein niedliches Geschöpf!
In der Zwischenzeit beendet die Mama das Telefonat, wirkt erschöpft. Ich Frage nach den Wünschen für die Fotos. Sie haben keine Vorstellung, so sah doch bis zum Morgen noch alles so aus, als würden sie ein gesundes Baby zur Welt bringen. Da macht man sich keine Gedanken darüber, wie die ersten und letzten Fotos ihres Schatzes aussehen sollen. Verstehe ich.
Was für ein Schmerz muss das für die Eltern sein? Oft wissen Sternenkind-Eltern ein paar Wochen oder zumindest Tage, dass ihr Schützling den Schritt auf diese Welt nicht schaffen wird. Da kann man was Überlegen. Da kann man sich auf die Situation ohne Baby einstellen. Man kann den Schmerz verdrängen oder auch zulassen. Man hat eine Option. In diesem Fall nicht.
Ich packe nun meine Foto-Ausrüstung aus, lege meine Bluetooth-Box auf die Wickelkommode und schalte ruhige Klänge nach Rücksprache ein. Übrigens wird dieser „Service“ gerne angenommen, ist es doch sonst im wahrsten Sinne des Wortes totenstill, bis auf das Klicken der Kamera.
Ich fotografiere den kleinen Stern aus sämtlichen Perspektiven, halte inne, schau mir die kleinen Hände an, mache Detailaufnahmen. Ich halte wieder inne, ich Stelle mir dir Frage nach dem „Warum“.
Tränen schießen in die Augen. Ich sammle mich, halte wieder die Kamera vor mein Gesicht, verstecke mich.
Für mich steht fest, das werden wundervolle Bilder, die für die Eltern eine tolle Erinnerung sein werden. Ich schaue kurz zu den Eltern, die mich „beobachten“, sehe, wie auch sie mit den Tränen kämpfen, halten sich an den Händen.
Dieses „fertige“ Baby. Wieso hat es nicht überlebt? Von „außen“ erkennt man keinen Grund, warum solch ein niedliches Geschöpf nicht leben darf.
Es liegt dort, die Hebamme deckt es auf, dass ich mehr von dem Kleinen sehe.
Wie er da liegt in seinem Strampler. Es ist aber still. Kein Schreien, kein Auf-und-Ab der Brust.
Es liegt dort und schläft.
Friedlich.
In solchen Momenten stell ich mir die Frage, nach dem Sinn des Lebens.
Ist es nicht der Sinn, seine Kinder aufwachsen zu sehen? Mit ihnen auf dem Boden zu spielen, das Lachen zu sehen und zu hören, das Kinderzimmer bis unter die Decke mit Spielzeugen zu füllen, alle zwei Wochen neue Kleidung zu holen, weil der Sprössling schon wieder gewachsen ist? Bei der Einschulung die schönste und größte Schultüte zu basteln? Und als Vater wird man dann irgendwann stolz wie Oskar bei der Hochzeit dabei sein…
Ich habe nun „genug“ Aufnahmen angefertig, verabschiede mich von den Eltern und vom zuckersüßen Sternchen, wünsche Ihnen alles Gute.
Auf meiner zweistündigen Heimreise hallt ein lautes „Warum!?“ durch meinen Kopf. Das sind auch die Momente, die mich persönlich auf den Boden der Tatsachen zurückholen. Und was bleibt, ist immer noch dieses „Warum?!“
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